Politforum 07/22
Was heisst es, arm zu sein?
Ja, es gibt sie auch in der Schweiz – die Armut. Und, sie hat in den letzten Jahren zugenommen!
Jede zwölfte Person in der Schweiz gilt als arm, jede sechste als armutsgefährdet. Damit müssen sie mit weniger als CHF2’279.– (Einzelperson) oder CHF 3’963.– (zwei Erwachsene, zwei Kinder) auskommen, und «erreichen den minimalen Lebensstandard nicht, der in ihrem Land als annehmbar empfunden wird».
Es gibt viele Gründe, weshalb jemand unter die Armutsgrenze fällt: ein verlorener Job, eine längerdauernde Krankheit, keine Ausbildung und nur Chancen auf Hilfsjobs, ein nicht-existenzsichernder Lohn, eine Scheidung, ein nicht-geplantes Kind, sein Leben lang in Teilzeit oder im Niedriglohnbereich gearbeitet haben, schlechte Startchancen durch eine schwierige Kindheit, eine falsche Entscheidung, erschöpft sein vom täglichen Kampf, den vielen Fehlschlägen und sich nicht mehr aufraffen können …
Im Kanton Bern leben 94’000 Personen in Armut, selbst wenn die Bedarfsleistungen zur Bekämpfung von Armut berücksichtigt werden. In Worb waren 2021 579 Personen auf wirtschaftliche Sozialhilfe angewiesen – 38 % davon sind Minderjährige, fast die Hälfte sind unter 25 Jahre alt!
Nun werden sie sagen: es gibt doch Hilfsangebote? Ja, die gibt es: das Chindernetz Kanton Bern gibt Beiträge an Schullager und Sportangebote, die Kirche übernimmt auch mal eine Zahnarztrechnung, eine Stiftung die Ferienwoche oder eine Weiterbildung. Wenn es für die Miete, die Lebenskosten nicht mehr reicht, springt der Sozialdienst ein, es gibt Ergänzungsleistungen. Aber für alles müssen die Betroffenen anfragen, Gesuche stellen, Formulare ausfüllen, sich erklären, immer wieder zeigen «ich schaffe es nicht alleine». Wie beschämend, wie anstrengend muss dies sein in einer Gesellschaft, wo das Credo «selbst ist der Mann, die Frau» herrscht.
Oder, wie kürzlich persönlich erlebt: eine etwas ungepflegt wirkende, ältere Frau an der Coop-Kasse, die immer verzweifelter einen Artikel nach dem anderen der Kassierin zurückgibt, weil der Betrag auf der PC-Karte einfach nicht reicht. Und wie sie sich wohl gefühlt hat, als ich ihr vorgeschlagen habe, die 35.– zu übernehmen, auch wenn sie es dankend angenommen hat?
Was kann die Gemeinde gegen Armut tun? Denn sie steht, zusammen mit dem Kanton in der Pflicht. Diese und andere Fragen stellten die Grünen im Juni in ihrer Interpellation «Armutsbekämpfung in Worb» an den Gemeinderat. Wir sind gespannt auf die Antworten und berichten gerne wieder.
Heidi Mosimann, Markus Eggenberger, Grüne Worb