Politforum 05/22
FISSCO und Gutshof ein Bauchweh-Thema
In der Schweiz wurden innerhalb der letzten zehn Jahre in keinem Jahr so viele Asylanträge gestellt wie im Jahr 2022 (welches erst begonnen hat). Wir nehmen sogar mehr Flüchtlinge auf als während der Flüchtlingskrise 2015 und wir können die Situation besser stemmen, als wir es jemals gedacht hätten!
Die ukrainischen Flüchtenden haben den Zugang zu vielen Leistungen, die andere Flüchtende zuvor niemals hatten: General Abonnements, gratis Deutschunterricht, einen schnellen Status S, die Möglichkeit zu arbeiten, zu studieren und das Mitgefühl und Engagement der Schweizer Bevölkerung. Doch wieso funktioniert das bei europäischen Flüchtenden, aber nicht bei Flüchtenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder dem Irak? Wenn wir ehrlich sind, kennen wir den Grund: Rassismus. Fast möchte ich dieses Wort nicht schreiben, da es sicher viele emotionale Reaktionen hervorruft, wie ich auch in meinem Kurs zu Rassismus in meinem Studium bemerke. Doch: Wir alle tragen rassistisches Gedankengut in uns, wirklich gefährlich wird es, wenn wir uns dies nicht mehr eingestehen und nicht mehr bereit zum Zuhören und Lernen sind.
Ein Ort, an dem diese krassen Gegensätze aufeinanderprallen, ist unser Enggistein: Auf dem Gutshof leben Abgewiesene, die auf ihre Abreise warten und teilweise schon seit zehn Jahren in der Schweiz leben, nebenan in der FISSCO bekommen ukrainische Geflüchtete einen Platz zum Schlafen. Natürlich handelt es sich um zwei unterschiedliche Situationen: Kriegsflüchtlinge, deren Existenz in der Ukraine zerstört und Geflüchtete, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Doch während die Ukrainer*innen sich frei mit dem öV fortbewegen können, haben die Abgewiesenen nicht einmal die Möglichkeit von ihrem Taggeld (8.- Franken für Einzelpersonen, 6,50 Franken für Familienmitglieder), welches neben Fortbewegung auch für Essen und alles weitere reichen muss, nach Worb Dorf und wieder zurückzufahren (pro Strecke 4.60 Franken ohne Ermässigung). Selbst für Windeln, die die Babys brauchen, reicht das Geld nicht.
Hier möchte ich das Engagement der reformierten Kirchgemeinde Worb loben: Diese setzt sich für die Würde der Bewohner*innen auf dem Gutshof ein. Dabei geht es keineswegs um ein Luxus-Verwöhnprogramm, sondern um die Sicherung des Existenz-Minimums: genügend Esswaren, Damen*binden, Windeln und Seelsorge.
Ich möchte mit diesem Artikel keine Wut schüren oder gar den ukrainischen Flüchtenden Leistungen absprechen. Mir ist bewusst, dass das Asylverfahren bei Flüchtenden, die nicht aus einem aktiven Kriegsgebiet kommen, komplizierter ist. Jedoch fordere ich denselben humanitären Umgang mit Flüchtenden aus allen Ländern. Wir sollten beginnen, Menschen wie Menschen zu behandeln und keinen Unterschied aufgrund deren Herkunft zu machen.
Paula Günther
Mitglied Grosser Gemeinderat